Welche Ansprüche stehen mir zu?

Wenn ein Patient infolge eines Arzthaftungsfehlers geschädigt wird, stehen ihm Ausgleichsansprüche gegen die behandelnden Ärzte zu. Der Volksmund spricht häufig von „Schmerzensgeld“, obwohl hiermit lediglich eine bestimmte Art der Schadenswiedergutmachung benannt wird. Rechtsanwalt Jürgen Wahl, Fachanwalt für Medizin- und Versicherungsrecht, erklärt, welche Ansprüche ein geschädigter Patient im Arzthaftungsfall geltend machen kann und gegen wen:

Frage: Was ist der Unterschied zwischen Schadensersatz und Schmerzensgeld?

Antwort: Das Schmerzensgeld ist eine Art des Schadensersatzes. Wird ein Mensch an der Gesundheit geschädigt, so wirkt sich dies häufig in vielen Lebensbereichen aus. Er erleidet Schmerzen, ist möglicherweise traumatisiert. Möglicherweise ist er auch in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt oder benötigt spezielle Heil- und Hilfsmittel, um wieder zu genesen oder die Folgen einer dauerhaften Schädigung auszugleichen. Die Rechtsprechung unterscheidet daher zwischen materiellen und immateriellen Schäden. Das Schmerzensgeld ist ein rein immaterieller Schadensersatz. Mit dem Schmerzensgeld sollen Körperschäden sowie alle hieraus resultierenden Unannehmlichkeiten, seelische Belastungen, Schmerzen und sonstige Unwohlgefühle wiedergutgemacht werden, die mit einer erlittenen Verletzung am Körper einhergehen. Zudem kommt dem Schmerzensgeld auch eine Sühnefunktion zu. Ein Schmerzensgeldanspruch kann bei Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung sowie in weiteren nicht ausdrücklich gesetzlich geregelten Fällen bestehen.

Frage: Wie berechnet sich das Schmerzensgeld?

Antwort: Diese Frage ist nicht pauschal zu beantworten, da eine Formel für die Berechnung des Schmerzensgeldanspruches nicht besteht. § 253 BGB regelt, dass eine „billige Entschädigung in Geld“ gefordert werden kann. Aus dieser Formulierung ist bereits zu erkennen, dass die Höhe des Schmerzensgeldes von verschiedenen Wertungskriterien abhängt. Mit in die Wertung einzubeziehen sind das Ausmaß, die Intensität und die Dauer der erlittenen Schmerzen, die Frage, ob eine Behandlungsnotwendigkeit ohnehin bestand, der Umfang und die Intensität der infolge der ärztlichen Behandlung notwendig werdenden Folgebehandlungen sowie auch das Alter des Geschädigten und das Ausmaß der Lebensbeeinträchtigungen, die der Geschädigte durch das Schadensereignis erleiden musste. Eine Mitschuld kann sich schadensmindernd für die Schmerzensgeldhöhe auswirken. Auf Schädigerseite sind der Verschuldensgrad (vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln, Gefährdungshaftung) sowie das Verhalten nach Schadenseintritt (bewusste Verzögerung der Schadensregulierung, erfolgte Entschuldigung etc.) und letztlich auch die wirtschaftliche Situation des Schädigers ausschlaggebend. Um das Schmerzensgeld beziffern zu können, greift die Rechtsprechung auf Vergleichstabellen aus Schmerzensgeldtabellen und Schmerzensgeldkatalogen zurück. In diesen sind zahlreiche Urteile verschiedenster Gerichte katalogisiert und systematisch nach Art der Verletzung aufbereitet. Als Anwalt versuchen wir daher zunächst, vergleichbare Urteile in der Rechtsprechung zu finden und dann das Schmerzensgeld anhand der individuellen Besonderheiten des Falles konkret zu berechnen.

Frage: Welche anderen Schäden kann ich darüber hinaus ersetzt verlangen?

Antwort: Neben dem Schmerzensgeld können geschädigte Patienten auch tatsächlich erlittene Vermögenseinbußen ersetzt verlangen. Wenn das Erwerbseinkommen bedingt durch einen Behandlungsfehler zurückgeht oder Verdienstausfälle (zum Beispiel durch den Wegfall oder die Reduzierung des Erwerbseinkommens) entstehen, so sind diese Ausfallschäden ebenfalls vom Schädiger zu ersetzen. Auch Kosten, die für die Pflege oder Hilfsmittel anfallen, sind im Wege des Schadensersatzes durch den Arzt zu ersetzen, sofern diese Leistungen nicht durch die Krankenkasse des Geschädigten getragen werden. In diesem Falle gehen die Ansprüche auf die Krankenkasse über. Eine nicht zu unterschätzende Schadensposition stellt der Haushaltsführungsschaden dar. Der Haushalt ist ein wichtiger Bestandteil eines jeden Lebens. Wenn plötzlich die Person, die sich um die Wäsche, das Kochen und das Einkaufen kümmert, verletzungsbedingt ausfällt, kann die Familie unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für eine Haushaltshilfe ersetzt verlangen. Nimmt sie diese nicht in Anspruch, so steht der geschädigten Person als Kompensation für die geleistete Mehrarbeit im Haushalt durch andere Familienangehörige ein Schadensersatz in Form des Haushaltsführungsschadens zu. Je nach Fallkonstellation können auch Kosten für Hilfsmittel (zum Beispiel orthopädisches Schuhwerk, Treppenlifte etc.) oder eine Anschlussheilbehandlung geschuldet sein. Im Todesfall sind die Kosten der Beerdigung und der Trauerfeier als materieller Schadensersatz von der Haftpflichtversicherung zu ersetzen. Es existiert eine Reihe weiterer Schadensersatzpositionen, die der geschädigte Patient vom Arzt einfordern kann. Daher ist es wichtig, jeden Einzelfall im Detail mit einem erfahrenen Anwalt zu besprechen, damit Sie zu Ihrem Recht kommen.

Frage: Wie lange habe ich Zeit, um meine Ansprüche geltend zu machen?

Antwort: Schadensersatzansprüche aus einer ärztlichen Fehlbehandlung verjähren innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist nach drei Jahren ab Kenntnis vom Behandlungsfehler jeweils zum Jahresende. Dabei kann eine Kenntnis nicht bereits bei einem ersten Verdacht auf einen Behandlungsfehler unterstellt werden. Wurde beispielsweise das falsche Knie operiert, wird sich auch für den Laien direkt nach der Operation erschließen, dass hier ein Fehler passiert ist. Häufig sind die Behandlungsvorgänge jedoch deutlich komplizierter. Die Abgrenzung zwischen einem Behandlungsfehler und einem schicksalhaften Verlauf ist meist nicht eindeutig. Aus diesem Grund haben der Bundesgerichtshof sowie die Instanzrechtsprechung inzwischen festgestellt, dass die Kenntnis vom Misserfolg oder einer Behandlungskomplikation allein noch nicht für die Kenntnis eines haftungsrelevanten Behandlungsfehlers ausreicht. Dem Patienten müssen vielmehr diejenigen Behandlungstatsachen positiv bekannt geworden sein, die – im Blick auf den Behandlungsfehler – ein ärztliches Fehlverhalten – und im Blick auf die Schadenskausalität eine ursächliche Verknüpfung der Schadensfolge mit dem Behandlungsfehler bei objektiver Betrachtung nahelegen. Voraussetzung sei ein Grundwissen über den korrekten Behandlungsverlauf sowie Kenntnis vom Tatbestand und Art des Eintretens von Komplikationen und letztlich auch die eines vom medizinischen Standard abweichenden ärztlichen Verhaltens, weil erst diese Verletzung der Berufspflicht des Arztes dessen Haftung begründet. In der Regel wird von einer objektiven Kenntnis erst auszugehen sein, wenn der medizinische Laie entweder durch ein Sachverständigengutachten oder durch eine fachkundige Person (zum Beispiel einen anderen Arzt) über einen Behandlungsfehler in Kenntnis gesetzt wurde. Ab diesem Zeitpunkt muss der Arzthaftungsanspruch innerhalb von drei Jahren geltend gemacht werden. Die Verjährung tritt jeweils zum Jahresende (31.12.) ein.

Frage: Gegen wen richtet sich die Arzthaftungsklage?

Antwort: Leider ist es nicht möglich – beispielsweise wie bei Kfz-Verkehrsunfällen – die Haftpflichtversicherung des Arztes direkt zu verklagen. Stattdessen richtet sich die Klage stets gegen die Klinik oder die Praxis, mit der der Behandlungsvertrag geschlossen wurde. Darüber hinaus empfiehlt es sich auch, den behandelnden Arzt mit zu verklagen, damit dieser in dem Rechtsstreit nicht gegen Sie als Zeuge aussagen kann. Sofern ein Behandlungsfehler durch mehrere Ärzte verschuldet ist (zum Beispiel Chefarzt, Oberarzt und Assistenzarzt), muss sehr genau geprüft werden, wer von diesen in Anspruch genommen werden kann. Diese Prüfung sollten Sie einem erfahrenen Anwalt überlassen.

Frage: Was mache ich, wenn nach Eintritt der Verjährung weitere Schäden auftreten?

Antwort: Im Klageverfahren können erfahrungsgemäß nur die Schäden geltend gemacht werden, die bis zur letzten mündlichen Verhandlung bereits bekannt sind. Die Kenntnis von dem Behandlungsfehler würde dazu führen, dass Sie mit der Geltendmachung weiterer Ansprüche nach Eintritt der Verjährung ausgeschlossen wären. Häufig treten jedoch Folgeschäden erst im weiteren Verlauf auf und sind nicht von vornherein für den Patienten vorhersehbar. Aus diesem Grund stellen wir, sofern ein späterer Gesundheitsschaden nicht ausgeschlossen werden kann, grundsätzlich einen Antrag auf Feststellung, dass der Arzt verpflichtet ist, auch für künftige Schäden, die aus seiner Fehlbehandlung resultieren, aufzukommen. Dies hat zur Folge, dass Sie über einen Zeitraum von zunächst 30 Jahren auch weitere Schadenspositionen geltend machen können.

Frage: Muss ich Schadensersatz und Schmerzensgeld versteuern?

Antwort: Grundsätzlich gilt: Schmerzensgeld ist steuerfrei! Eine Entschädigungszahlung ist nur steuerpflichtig, wenn sie der Erzielung von Einkünften dient. Auf Schadensersatzleistungen findet eine steuerliche Berücksichtigung gemäß § 24 Nr. 1a EStG statt, wenn dadurch weggefallene steuerbare Einkünfte kompensiert werden. Fragen hierzu beantwortet Ihnen Ihr Steuerberater.

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