Was ist ein Behandlungsfehler?

Die ärztliche Behandlung hat nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten fachärztlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist. Ein Behandlungsfehler liegt daher vor, wenn der Arzt ohne nachvollziehbaren Grund vom Facharztstandard abweicht und sich hierdurch ein Gesundheitsschaden verwirklicht. Der von jedem Arzt einzuhaltende Facharztstandard stellt den anerkannten und gesicherten Standard der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Behandlung dar. Dieser spiegelt sich regelmäßig in den von den ärztlichen Fachgesellschaften erlassenen Leitlinien zur medizinischen Behandlung wider. Dabei begründet ein Abweichen von diesen Leitlinien per se noch keinen Behandlungsfehler, sofern besondere medizinische Gründe die Abweichung von der Leitlinie rechtfertigen.

Bei der Behandlungsfehlerprüfung differenziert die Rechtsprechung zwischen einfachen und groben Behandlungsfehlern. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt ein grober Behandlungsfehler vor, wenn der Arzt ein unsachgemäßes Verhalten an den Tag gelegt hat, „das (…) aus objektiver ärztlicher Sicht bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstabs nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint“ (BGH, NJW 1983, 2080). Ein grober Behandlungsfehler darf einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen (BGH, NJW 1983, 2080). Das ärztliche Verschulden wiegt also bei einem groben Behandlungsfehler sehr viel schwerer als bei einem einfachen Behandlungsfehler.

Welche Arten von Behandlungsfehlern gibt es?

Während bei einem einfachen Behandlungsfehler grundsätzlich der Patient sowohl das Vorliegen des Behandlungsfehlers als auch den Eintritt eines Gesundheitsschadens und letztlich auch die Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden zu beweisen hat, führt ein grober Behandlungsfehler regelmäßig zu einer Beweislastumkehr. Dies bedeutet, dass im Fall eines groben Behandlungsfehlers vermutet wird, dass die eingetretenen Gesundheitsschäden auch ursächlich auf den Behandlungsfehler zurückzuführen sind. Es liegt nun an dem behandelnden Arzt, das Gegenteil zu beweisen. Dies kann eine entscheidende Beweiserleichterung im Arzthaftungsprozess sein.

Welche Arten von Behandlungsfehlern gibt es?

Die Rechtsprechung unterscheidet zwischen:

Befunderhebungsfehler. Ein Befunderhebungsfehler liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (NJW 2008, 1381–1383) stets dann vor, wenn eine Untersuchung des Patienten fehlerhaft erfolgt ist oder es durch den Arzt versäumt wurde, relevante Befunde zu erheben oder zu sichern.

Abzugrenzen ist hiervon der Diagnosefehler. Im Gegensatz zum Befunderhebungsfehler hat der Arzt bei einem Diagnosefehler zwar die relevanten Befunde erheben, er hat sie jedoch fehlerhaft interpretiert und gelangt also trotz der ursprünglich zutreffenden Feststellung der Symptome und Befunde zu einer fehlerhaften Diagnose (BGH, NJW 2008, 1381–1381).

Auch die Auswahl der geeigneten Behandlungsweise kann fehlerhaft erfolgen. In diesem Fall spricht die Rechtsprechung von einem Therapieauswahlfehler (OLG Oldenburg, NJW-RR 1999, 1329–1330). Sie versteht hierunter das Unterlassen einer gebotenen ärztlichen Reaktion auf eindeutige Befunde oder die grundlose Nichtanwendung einer entsprechenden Standardmethode.

Den im Volksmund klassischerweise als „Kunstfehler“ bezeichneten Behandlungsfehler sieht die herrschende Rechtsprechung als Therapiefehler an. Sie versteht hierunter das Unterschreiten der für eine konkrete Therapie bestehenden Behandlungsstandards (OLG Stuttgart, OLGR Stuttgart 2002, 251–257).

Daneben können auch Organisationsfehler eine Haftung begründen. Diese liegen dann vor, wenn aufgrund einer unzureichenden Praxis- oder Klinikorganisation Schäden eingetreten sind (z. B. Lagerungsfehler des Patienten während einer Operation, Infektion einer Wunde aufgrund unzureichender Hygiene, fehlerhafte Medizintechnik etc.).

Auch kommt es gelegentlich vor, dass ein Gesundheitsschaden entsteht, da mehrere an der Behandlung beteiligte Ärzte für die Behandlung relevante Informationen nicht ausgetauscht haben. Im Fall eines solchen Behandlungsfehlers aufgrund von Kommunikationsversehen spricht die Rechtsprechung von einem Koordinationsfehler (BGH, NJW 1999, 1779–1781; OLG Köln, NJW-RR 1993, 1440–1441).

Häufig werden in Krankenhäusern junge Assistenzärzte ohne weitreichende Praxiserfahrung eingesetzt. Überschätzen diese ihr Können und kommt es zu einem Gesundheitsschaden, weil diese nicht über hinreichende medizinische Kenntnis oder Kenntnisse der krankenhaustechnischen Ausstattung verfügen, ist von einem sogenannten Übernahmeverschulden oder einem klassischen Anfängerfehler (BGH, NJW 1993, 2089–2092; BGH, NJW 1989, 2321–2323) auszugehen.

Schließlich ist der behandelnde Arzt auch verpflichtet, den Patienten aufzuklären, welche Mitwirkungshandlungen er zu unternehmen hat oder welche ärztlichen Hinweise er zu beachten hat, um den Heilerfolg sicherzustellen und nicht zu gefährden. Vergisst der Arzt diese Hinweise, so ist von einer mangelhaften Sicherungsaufklärung bzw. einem Verstoß gegen die Informationspflichten auszugehen. Auch dies kann eine Haftung begründen.

Da an die verschiedenen Arten der Behandlungsfehler unterschiedliche rechtliche Maßstäbe anzulegen sind, ist eine genaue Differenzierung durch den Fachmann erforderlich. Mit der Behandlungsfehlerprüfung sollte daher stets ein Fachanwalt für Medizinrecht beauftragt werden, der über eine entsprechende Erfahrung als Patientenvertreter und das nötige medizinische wie auch juristische Fachwissen verfügt. Rechtsanwalt Jürgen Wahl ist Fachanwalt für Medizinrecht und verfügt über eine langjährige Erfahrung im Arzthaftungsrecht. Als Patientenanwalt hat er bereits zahlreichen Geschädigten zu ihrem Recht verholfen.

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